Baltic 500 – Feuertaufe als Saisonauftakt

Glücklich endlich wieder auf der Regattabahn zu sein.

Mit viel Engagement seitens des Organisationsteams und mit zu befolgenden Regeln zum Minimieren des Corona-Infektionsrisikos für die Teilnehmer, war es gelungen, über Christi Himmelfahrt die erste und vorerst auch einzige Offshore-Regatta stattfinden zu lassen. Das „Baltic 500“ fand in seiner zweiten Auflage statt und führte die doublehanded-Crews auf einem 500sm langen Kurs von Strande (Kiel) aus an Kopenhagen vorbei bis nach Læsø und durch den Großen Belt zurück nach Strande.

Der Kurs war in diesem Jahr durch das Einreiseverbot nach Dänemark bis kurz vor dem Start allerdings alles andere als sicher und so war die Wettfahrtleitung auf drei Alternativkurse entlang der deutschen Küste ausgewichen. Hauptsache überhaupt segeln! Sverre Reinke und ich hatten uns und das Boot in den Wochen vorher so gut wie bei den lange Zeit geschlossenen Häfen möglich vorbereitet und längere Trainingseinheiten sowie nächtliche Überführungen zwischen Kiel und Rostock gemacht. Auch die Vorbereitung der Navigation und des Wetters hatte ich für die drei möglichen Kurse zwischen Flensburg und Rügen sehr genau betrieben um mich schon einmal wieder an die Classe Mini Regatten heran zu tasten. Da dort ohne elektronische Seekarten navigiert wird, ist die Vorbereitung und die Erstellung eines Roadbooks noch viel wichtiger.

Am späten Nachmittag des Vorstarttages kam dann jedoch plötzlich die Mitteilung, dass wir nun doch durch dänische Gewässer fahren dürfen und es somit auf den Originalkurs hoch nach Læsø gehen würde. Eine großartige Nachricht, auch weil die Wettervorhersage ansonsten einige Tage Kreuz versprochen hätte, aber dennoch: die ganze navigatorische Vorbereitung war umsonst gewesen und der Abend wurde deutlich länger als geplant.

Bei schönstem Sonnenschein und Leichtwind bereiteten sich 34 Boote auf ihren Start vor. Das Hauptfeld bestand aus ORC-Club Booten, aber wir waren mit vier Mini 6.50 dabei. Neben Martin Gnass und Jan Heinze auf der Lonestar/613 sowie Hasso Hoffmeister und Michael Höfgen auf der Husky/746 waren ganz spontan die Offshore mixed EM-Sieger 2019 Christian Kargl und Lisa Berger mit ihrem Maxi 980 aus Österreich dazu gekommen und wir hatten somit ein zweites neues Design am Start. Unser WHOMPER ging zum ersten Mal mit seinem neuen orangenen Branding in den Farben der Avanade ins Rennen.

30 Minuten vor dem Start fielen bei uns plötzlich alle Winddaten aus. Failure. Das durfte doch echt nicht wahr sein, heute morgen hatte noch alles bestens funktioniert…! Während also alle entspannt zur Startlinie dümpelten, war bei uns nun schnelle Fehlersuche angesagt. Sverre versuchte in dem Gewusel aus Feiertagsseglern und Regattateilnehmern die Startlinie zu finden und ich bastelte unter Deck an den Kabeln herum. Nke aus, Kabel umstecken, nke wieder an. Dann noch eine andere Idee. Wieder umstecken, nke wieder an,… Knapp 10 Minuten vor dem Start hatten wir wieder Winddaten, aber die gesamte Vorstartphase verlief dadurch leider anders als gedacht. Knapp vor dem 1-Minuten-Signal und damit haarscharf einer Strafzeit entgangen, schafften wir es unter Code 0 auf die Leeseite der Startlinie. Eine Wende noch und schon ging es los. Unsere Startposition war natürlich nicht optimal, aber unter Code 0 fuhren wir die ersten Minuten gut in Lee raus.

Nun ging es los in eine etwa 24-stündige Kreuz. Zwar hatten wir bei Sonne und 8-12kn wirklich schöne und entspannte Bedingungen, aber schnell waren wir Minis nicht. So richtig ins Rennen fanden wir auch erst einige Zeit später, sodass unsere Taktik auf der Kreuz zu wünschen übrig ließ. Aber wir schoben den runden Bug der 982 so schnell wie möglich durch die kleine kurze Ostseewelle und hefteten uns an die Fersen der vorderen zwei Minis. Da der Wind länger links stand als vorhergesagt, entschieden wir uns durch den Fehmarnsund zu fahren. Mit leichtem Wind, abnehmendem Gegenstrom und ohne Welle segelten wir kurz vor Mitternacht unter der Brücke durch und fuhren bis auf eine Seemeile an die anderen Minis ran. Mit zunehmendem Wind und Welle ging in der zweiten Nachthälfte der Rodeo-Ritt los um das Verkehrstrennungsgebiet vor Gedser backbord liegen zu lassen. Da wir unsere Bahnmarke trotz des prognostizierten Drehers immer noch nicht anliegen konnten, waren vier weiteren Wenden fällig und wir verloren leider erheblich an Strecke zu Hasso/Mich und Christian/Lisa. An der Süd-Ost-Ecke des Verkehrstrennungsgebietes ging aber endlich der Code 0 hoch und wir nahmen Geschwindigkeit auf. Kurze Zeit später rauschten wir unter mittlerem Spi und als der Kurs spitzer wurde unter Code 5 an der Steilküste Klintholms vorbei. Kurz nach dem Erreichen eines neuen Geschwindigkeitsrekords mit 18,08kn rutschte plötzlich das Spifall durch die geschlossene Klemme durch und der Code 5 hing halb im Wasser. Nach einem kurzen Kampf bekamen wir ihn aber zu zweit ins Cockpit gezogen. Da die Wellen inzwischen wirklich steil und hoch geworden waren und auch der Wind auf 23-30kn zugenommen hatte, beschlossen wir den immer spitzer werdenden Kurs bis zur Ecke von Dragør ohne Spi abzufahren. Auch unter gereffter Fock und zweifach gerefftem Groß surften wir noch mit 9-16kn Kopenhagen entgegen. Auf Höhe der dänischen Hauptstadt ging dann im böigen aber vom Wellenbild her deutlich ruhigeren Øresund der Code 5 wieder hoch, wir überholten Hasso/Michi und rauschten mit konstanten 14kn Helsingborg entgegen. Das dortige Verkehrstrennungsgebiet ließ sich trotz einiger Frachter mit ein paar Halsen erstaunlich gut passieren, sodass wir mit einsetzendem Regen und langsam beginnender Dunkelheit wieder freies Wasser vor uns hatten.

Als nächste Bahnmarke galt es die 80sm nördlich gelegene Insel Læsø zu umrunden. Für die Nacht war der Durchgang einer Kaltfront mit stürmischen 40kn, in Böen bis zu 50kn, angesagt. Wir waren vermutlich etwas zu konservativ unterwegs und nahmen gegen 22:00, als der Windmesser in den ersten richtigen Schauerböen das erste Mal an die 30kn herankam, den Code 5 weg. Die Front zog mit ordentlich Regen, konfusen und gefühlt aus allen Richtungen kommenden Wellen, aber nur maximal 30kn Wind in den dunkelsten Stunden der Nacht über uns hinweg. Normalerweise hat man zu dieser Jahreszeit in der Ostsee wirklich kaum komplette Dunkelheit, aber diese Nacht war wirklich pechschwarz bis sich die Front verzogen hatte. Man konnte absolut nichts sehen und versuchte trotz der hohen Wellen einigermaßen den Kurs zu halten. Schnell unterwegs waren wir allemal und mit der ersten morgendlichen Dämmerung ließ auch der Wind nach. So näherten wir uns unter mittlerem und später großem Spi unserem nördlichen Wendepunkt.

Die Kälte bekamen wir allerdings nicht mehr aus den Knochen. Das sollte sich auch bis zum Ziel nicht ändern. Die Sonne ließ sich kaum noch blicken. Alles war seit Kopenhagen nass, uns war eiskalt und auch unter Deck waren Kondenswolken beim Ausatmen zu sehen. Irgendwann wollten wir schon fast gar nicht mehr zum Schlafen runter gehen in unsere nass-kalte Höhle. An Schlaf war aber ohnehin nur sehr schwer zu denken. Ein Dösen oder auch kurzes Einnicken mit wirren Träumen war zwar möglich, aber der Lärm und die Bewegungen des Bootes waren einfach infernalisch. Nach einem letzten Sprint unter Code 5 entlang der Nordseite Læsø‘s ging es hoch an den Wind. 180sm Am Wind, immer wieder mit Kreuzschlägen versehen, lagen bis nach Kiel nun vor uns. Der angesagte Leichtwind zeigte sich nur eine Stunde lang bis uns Gewitter und eine sehr böige Rückseite der Front begleiteten. Bum, bum, bum, rusch, bum,… Trotz der Landabdeckung hatten wir genug Welle um uns regelmäßig in die Wellentäler krachen zu lassen und der Wind hielt uns mit 18-30kn gehörig auf Trab. Die Fock ließen wir zwar ausgerefft, aber das Groß war die meiste Zeit im zweiten Reff gesetzt. Sobald der Wind auf etwa 70° TWA ein klein bisschen raumte, fuhren wir schnell unsere 11kn, aber die meiste Zeit waren nun 6-7kn Am Wind angesagt. Ein langer Rückweg, der gehörig an unsere Reserven ging. Keine Pause, kein Aufwärmen, nichts trocknet. Zumindest warmes Essen bekamen wir noch dreimal täglich hin, sofern man das warme Müsli dazu zählen mag.

Inzwischen hatten wir mitbekommen, dass bei Christian/Lisa in der stürmischen Nacht ein Ruderbeschlag gebrochen war und sie das Rennen aufgeben mussten, aber eigenständig zurück nach Kiel segeln konnten. Auch Martin/Jan hatten wegen eines gebrochenen Spibaums schon früh aufgeben müssen. Somit führten wir das Klassement der Minis nun an. Doch so richtig freuen konnten wir uns darüber nicht.

Der letzte Tag hatte es noch einmal richtig in sich. Sverre musste mit latenter Seekrankheit kämpfen und bekam keine warme Mahlzeit mehr runter. In der Nacht mussten wir bei 28kn und steiler Welle noch ein paar Kreuzschläge machen und leider gegen den West-Dreher aus einer Bucht Seeland‘s auf Höhe von Samsø herausfahren, doch dann konnten wir endlich die Große Belt-Brücke anliegen. Die 30sm entlang von Langeland hielten wir uns nah unter Land. Dadurch war der Wind zwar weiterhin extrem böig, aber die Welle war erträglicher und wir hatten kaum Gegenstrom. WHOMPER hatte sich bis dahin wirklich extrem gut geschlagen. Uns war vor allem im Vergleich mit den anderen Minis noch nichts wirklich kaputt gegangen und auch wenn man bei jedem Hineinkrachen ins Wellental meint, der Mast müsse runterkommen, trotzte er weiterhin der kurzen Ostseewelle. Noch in der Abdeckung von Langeland fingen jedoch unsere Windinstrumente wieder an falsche Daten zu zeigen. Ein Blick in den Mast zeigte, dass es diesmal kein Kabelfehler war: der komplette Windgeber hatte sich samt Halterung vom Mast gelöst und schlug nun in 12m Höhe, nur noch an seinem Kabel hängend, alles kurz und klein. Fünf Minuten später war das Kabel gerissen und der Windgeber hatte sich wundersamer Weise in einem der Spifallen vertörnt. Vorsichtig bugsierte Sverre ihn am Spifall hinunter und je nach Bootsbewegungen vorbei an Saling und Backstag. Als er die letzten Meter bis zum Deck an der Fock herunterrutschte, war noch ein beherztes Zupacken nötig und wir hatten ihn gerettet. Ganz unbeschadet hat er das Drama zwar nicht überlebt, aber er lässt sich voraussichtlich zumindest reparieren.

Im Blindflug standen nun also noch die letzten 30sm bis nach Kiel an. Tagsüber und hoch Am Wind ließ es sich so aber relativ gut steuern und selbst die lange Welle hinter der Inselabdeckung konnten wir endlich einmal aussteuern. Noch zwei Wenden und drei Stunden durchhalten, dann konnten wir den Leuchtturm Kiel anliegen. Gegen 20:30 am Sonntag abend überquerten wir die Ziellinie bei Kleverberg-Ost. Endlich! Viel länger hätte es so auch echt nicht weitergehen können. Wir waren erleichtert und froh uns nun aufwärmen und trockene Sachen anziehen zu können. Die letzten Meter wurden wir netterweise von einem MoBo des Strander Yacht Clubs in den Hafen geschleppt, Regattaorganisator Cord Hall erkundete sich nach unserem Wohlergehen und Freunde waren zufällig mit ihrem Boot in Strande und hießen uns im sonst ziemlich menschenleeren Hafen willkommen.

Was für ein Rennen! Die Ostsee verlangt einem Mini-Segler echt immer wieder alles ab – durch Kälte, relativ enge Kurse und vor allem diese extrem kurze Welle vielleicht sogar mehr als der Atlantik. Wir sind trotzdem happy, das Rennen gemeistert zu haben und freuen uns trotz der Strapazen schon wieder auf die nächsten Trainingstage. Ein herzliches Dankeschön an das Veranstalter-Team des Yacht Club Strande sowie an die Avanade und alle weiteren Unterstützer!

Lina und Sverre